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© Dirk Burchard 29. September 2004 www.ryker.de/dirk/archiv/aufmarsch.html

Versammlungsfreiheit für neonaziAufmärsche

(Beitrag aus de.soc.recht.misc) In Bayern wurde ein ehemaliger KZ-Häftling jetzt rechtskräftig wegen Aufforderns zu Straftaten verurteilt, weil er zum Widerstand gegen einen neonaziAufmarsch aufgerufen hatte, dessen Versammlungsfreiheit der bayerische Staat gegen den ehemaligen KZ-Häftling verteidigt:

http://www.sueddeutsche.de/muenchen/artikel/973/39934/

Damit wird es endlich Zeit zu klären, daß neonaziAufmärsche keine Demonstrationen sind, sondern lediglich Aufmärsche, und dazu hat das Bundesverfassungsgericht bereits die Grundsätze festgelegt:

Am 12. Juli 2001 waren die Veranstalter der LoveParade sowie die Veranstalter der alternativen "FuckParade" mit ihren eilAnträgen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen Entscheidungen des OVG Berlin gescheitert, ihr Straßenfest sei keine Demonstration:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/qk20010712_1bvq002801

Danach mußte die damals von der CDU in Berlin als Jugendkultur für Mitlaufen, Verblödung und Konsum geförderte LoveParade ihre Straßenreinigung selbst bezahlen und durfte nicht mehr das eigentlich eher linke politische Kampfmittel der Demonstrationfreiheit beschmutzen.

Besonders interessant war aber, daß das Urteil des BVerfG auch eindeutige Argumente enthielt, mit denen diese nazionalen Aufmärsche untersagt werden können:

Das BVerfG schrieb zum Schutzbereich der Versamlungsfreiheit: "Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen fallen unter ihn ebenso wenig wie Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen oder die als eine auf Spaß und Unterhaltung ausgerichtete öffentliche Massenparty gedacht sind".

Interessant wurde dann die Abwägung zur sogenannten "FuckParade", die sich gegen die Verdrängung von Anhängern bestimmter Techno-Musikstile aus angestammten Stadtvierteln wenden sollte, gegen die Schließung von Clubs und die Auflösung von Partys, gegen die "Reinigung" der Hauptstadt "von allem, was anders ist" und gegen die kommerzialisierte "LoveParade" als "Pseudo-Demo", was keineswegs sinnentleerte Schlagworte, sondern näher begründete Anliegen der Veranstalter gewesen sein sollen, so daß das Element der Meinungskundgabe jedenfalls nicht völlig in den Hintergrund getreten sei. Selbst in diesem Fall sollte noch ein Verbot verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden gewesen sein.

Daß die rechtsextremen Kameradschaften regelmäßig nur vorgeschobene Anlässe für ihre vorgeblichen "Demonstrationen" angeben, ist bekannt, so daß die neonaziAufmärsche gar nicht mehr sind als Zurschaustellungen eines faschistischen Lebensgefühls, bei denen das Element der Meinungskundgabe in den Hintergrund tritt. Gegen Ausländer und für deutschNationalismus zu sein oder vorliegend gegen die Dokumentation der "Verbrechen der Wehrmacht" sind zwar ansatzweise Meinungskundgaben, aber die treten ganz eindeutig hinter das Ansinnen der neoNazis zurück, mit einem Aufmarsch "Flagge zu zeigen", und daher sind diese Aufmärsche bei konsequenter Anwendung der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch die Versammlungsfreiheit nicht gedeckt - schon gar nicht zur Unterdrückung der Meinungskundgabe eines ehemaligen KZ-Häftlings gegen diesen neofaschistischen Aufmarsch.

Hilfsweise wären für solche Aufmärsche aber jedenfalls Auflagen zu verhängen, das Tragen von Flaggen, Bomberjacken, Springerstiefeln und sonst alles zu untersagen, was der "Meinungskundgabe" den Charakter eines Aufmarschs verleiht. Die Polizei hat dann gegen jeden neoNazi, der zB mit Springerstiefeln "demonstriert" einzuschreiten, und dann kann der auf Socken weiterlaufen - wurde in Freiburg mal erfolgreich praktiziert.

Im übrigen verweise ich auf Artikel 139 GG, der zumindest mittelbar ein Staatsziel der "Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus" formuliert:

http://dejure.org/gesetze/GG/139.html

Danach ist die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts umso zweifelhafter, das die Demonstrationsfreiheit der neoNazis höher stellte als die Überzeugungen des ehemaligen KZ-Häftlings, der zum Widerstand aufruft.

Interessant ist hierzu übrigens die Betrachtung, wie derartige Argumente früher hier im usenet niedergepöbelt wurden:

<news:1ewnjg5.1isst27fjobcgN%dburchard@web.de>
<news:1ewg7zu.1ob8tylyqwmsbN%dburchard@web.de>
<news:1fjykxq.ks06ignqpas6N%dburchard@web.de>





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