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© Dirk Burchard im Juni 2000 www.ryker.de/dirk/archiv/fuehrersehnsucht.html

Führersehnsucht

Mit Robert war ich gestern bei Kampnagel zu "Der Kaiser und die Hexe" nach Hugo von Hofmansthal als Abschlußinszenierung des Studiengangs Schauspiel-Regie der Universität Hamburg von Effi Méndez.

Das Stück war klasse, wie es einen Kaiser zeigt, dessen Gesten schon als Dreijähriger als Befehle gedeutet wurden, der im greiften Alter einem auf sein damaligen Geheiß Geblendeten begegnet und nun versucht, seine Verantwortung auszufüllen. Im Gegenzug befreit sich dieser Kaiser von einer imaginären Hexe, die ihn mit ihrem Gesang zunächst beherrschen konnte.

Mutig fand ich es, als universitäre Abschlußarbeit und somit von noch nicht am Theatermarkt etablierten Schauspielern, ein Stück aufzuführen, das einen schwachen Kaiser zeigt. Denn damit wird man abhängig von der Offenheit des Publikums. Und genau diese blieb versagt. Hinter mir bejammerte ein Zuschauer den brilliant umgesetzten Gesangspart der Hexe "Da kriegt man ja einen Hörsturz", und so richtig sprang der Funke auf dieses Publikum nicht über.

Als ich anschließend mit Robert im Foyer saß, wurden wir Zeugen eines Streits im Ensemble, und ich hätte mir gewünscht, Hauptdarsteller Christian Bruhn wäre mit der dort gezeigten Aggression das Publikum angegangen. Ich habe eine liveLP von Foyer des Arts, auf der Max Goldt sein Publikum anschnauzt "Hört auf rumzuschreien da. Maulhalten! Jetzt kommt schimmliges Brot". Und so respektlos muß man mit manchem Publikum sein.

Die Hamburger Morgenpost online veröffentlicht heute, am Freitag, den 16. Juni 2000 nun folgenden Kommentar:

Monotonie im Wald

Lang: "Der Kaiser und die Hexe" nach Hoffmannsthal auf Kampnagel

Für ihre Diplom-Inzenierung auf Kampnagel hat Effi Méndez sich ein ungewöhnliches Stück ausgesucht: "Der Kaiser und die Hexe", 1897 geschrieben von Hugo von Hoffmannsthal. Auf der Jagd verliert sich der Kaiser tief im Wald und in den eigenen Gedanken, er zweifelt und verzweifelt an der Macht. Die Schuld an der Krise gibt er seiner Geliebten, die er für eine Hexe hält.

Rund neun Zehntel des Textes liegen bei diesem Kaiser: So eine alles tragende Hauptrolle will gekaut und geschluckt werden, ihre Nährstoffe muss der Darsteller verwerten, den Abfall ausscheiden - um dann gestärkt und als strahlende Figur das Publikum zu verführen. Schauspieler Christian Bruhn aber stakst in der Rolle herum wie in viel zu großen Schuhen: Er sagt Verse auf mit monotoner Stimme, reglosem Gesicht, steifem Körper.

So empfinden die Zuschauer die einstündige Aufführung vor allem als lang - trotz schöner Regie-Ideen: Der Text der weiblichen Hauptrolle wurde von Ruta Paidere vertont wie ein moderner Opernpart, Julia Henning spielt und singt die Hexe zur Begleitung auf Violine (Egija Gablina) und Schlagwerk (Siegfried Schreiber). Ein Bewegungs-Chor ersetzt das Bühnenbild, kommentiert die Worte des Kaisers mit Lachen und Geräuschen - jeder dieser sechs beinahe stummen Nebendarsteller ist lebendiger und näher dran am Publikum als der Kaiser.

Nele-Marie Brüdgam
Kampnagel, letzte Aufführung heute, 20 Uhr, Karten (10-27 Mark) unter Tel. 27094949

Nele-Marie Brüdgam hätte vielleicht wenigstens den Juni-Flyer von Kampnagel lesen sollen. Denn dort hätte sie erfahren, daß die Hexe keine "Geliebte" des Kaisers war, sondern seine "Phantasmen". Und was Frau Brüdgam alles von einem Kaiser erwartet, man lese es nochmal: Er soll Nährstoffe der Darsteller verwerten, Abfall ausscheiden und das Publikum verführen - Führersehnsucht. Was Frau Brüdgam da schreibt über die monotone Stimme, das reglose Gesicht und den steifen Körper ist Quatsch, denn genau diese Schwäche ist es, von der sich die Figur des Kaisers bei Hofmansthal befreit. Das Publikum wollte aber keinen schwachen Kaiser sehen und folglich auch nicht dessen Erstarken im Bewußtsein seiner Verantwortung. Das sind keine populären Ideale. Es gehen weniger Zuschauer zu Kampnagel als zu Boxkämpfen, wo in drei Minuten der Gegner KO geschlagen wird. Letztlich ringen aber beide Veranstaltungen um dieselbe Masse "Publikum". Gerade deshalb war "Der Kaiser und die Hexe" eine gut gewählte Herausforderung...





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