© Dirk Burchard 27. Januar 2005 | www.ryker.de/dirk/archiv/npdposse.html |
Der 11. September 2001 brachte das große Aufatmen für deutsche Verfassungsschützer, die sich ein ganzes Jahrzehnt zuvor durch den Druck der öffentlichen Meinung zur Jagd auf neoNazis gedrängt sahen und mit dem Islamismus
nun endlich ihre Verfassungsfeinde wieder ethnisch definieren konnten. Die krampfhafte Reduzierung des Phänomens Rechtsextremismus auf Stiefelnazis hatte vorerst ein Ende, und nichtmal der Einzug der NPD in den sächsischen Landtag (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47) sowie die andauernden Abrenzungsprobleme der etablierten Parteien brachten das Thema der rechten Brandstiftung wieder auf die Tagesordnung (48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56), sondern erst der international Aufsehen erregende Eklat im sächsischen Landtag kurz vor dem 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz (57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 178, 179 180, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 197, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 226, 227, 228, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 251, 252, 253, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 260, 261, 262 und besonders beeindruckend: Kurt Julius Goldstein in der tagesschau vom 26. Januar 2005).
Die Bürger westDeutschlands hatten zwischen 1968 und 1982 immerhin eine Phase erlebt, in der manche naziSchergen von ihrer Vergangenheit eingeholt wurden, zB mit dem Rücktritt von BadenWürttembergs Ministerpräsident Hans Filbinger, und HannsMartin Schleyer wurde dafür sogar von der RAF getötet. Die Regierung Kohl bemühte sich zwar ab 1982 solche Thematisierungen zurückzudrängen, einschließlich der Frage der Entschädigung von Zwangsarbeitern (dieses Problem holte die deutsche Wirtschaft erst durch Klagen von Opferverbänden in den USA Ende in den 90ern wieder ein), aber darüber war Helmut Kohl 1989 bereits so verbraucht, daß er seine Kanzlerschaft nur mit dem durch D-Mark erkauften Jubel des ostMobs in die 90er retten konnte. Damals stellte sich der ostMob nicht nur auf die Seite der westReaktionäre, sondern überließ diesen auch die meisten Schaltstellen der Macht in ihren neuen Bundesländern. Das labile Kräftegleichgewicht in westDeutschland verschob der ostMob somit nachhaltig zugunsten der Reaktionäre, und die sahen traditionell ihren Feind vor allem im Sozialismus
, in der SEDnachfolgepartei
, in den Roten Socken
von der PDS. Wer immer sich als antiKommunist inszenierte, galt den westReaktionären im Osten als Demokrat - ein arg leichtes Spiel für neoNazis. Brennende Asylbewerberheime und Himmelfahrtskrawalle waren die unmittelbare Folge Anfang der 90er.
Dabei wurde und wird der Rechtsextremismus sogar gezielt entfesselt, um seinen Gesinnungsterror in der Bevölkerung gegen linkes
Gedankengut zu verbreiten - Aktionen gegen linke
Jugendzentren gehören seit jeher zu den Planspielen rechter Kameradschaften
, und deren immergleichen Parolen im Alltag zu widersprechen, ist zwar lästig - aber wer das tut, der macht das sowieso konsequent und braucht dazu schon gar keine mahnenden Aufrufe von Politikern, wie sie derzeit wieder in Mode kommen. Wer einmal einen neoNaziAufmarsch nicht nur in ostDeutschland erlebt hat, wird aber gesehen haben, wie martialisch gekleidete neoNazis von paramilitärisch gerüsteter Polizei eskortiert im Namen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit das Stadtleben lahmlegen dürfen. Da sich die Politik gegenüber ihren Wählern zu verantworten hat, ergeht zuvor meist eine Verbotsverfügung, die dann von unabhängigen
Verwaltungsrichtern kassiert wird - das ist ein so eingespieltes Ritual, daß wahrscheinlich schon gar nicht mehr mit den Richtern telefoniert wird, wie dilettantisch die Verbotsverfügung denn formuliert werden sollte, denn schon die Stadt Freiburg hatte vorgemacht, wie man mit Auflagen immerhin den Aufmarschcharakter unterbinden kann - Bomberjacken, Reichskriegsflaggen oder Springerstiefel müssen dann von der Polizei beschlagnahmt werden und die neoNazis ggf auf Socken weiterparadieren. Auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Loveparade besagte eindeutig, daß bei Verantstaltungen, bei denen das Element der Meinungskundgabe in den Hintergrund tritt, die Versammlungsfreiheit nicht berührt ist, und das ist auch regelmäßig bei den Aufmärschen von neoNazis mit ihren vorgeschobenen Demonstrationsanlässen der Fall. Aber solange sich Linke
an den niederen Stiefelnazis und deren brutalem Terror abarbeiten, solange werden sie die eigentlichen Brandstifter und deren Machenschaften nicht thematisieren, so das politische Kalkül.
Widerstand gegen die neoNazis gibt es im Alltag genug, er wird lediglich verschwiegen oder sogar unterdrückt, weil Antifaschismus nunmal den verleugneten neoFaschismus dokumentiert. Nahezu gegen jeden neonaziAufmarsch gibt es Gegendemonstrationen, denen aber seltenst Aufmerksamkeit der Medien zuteil wird - allenfalls durch die Meldung der Zahl von verhafteten militanten
und autonomen
Gegendemonstranten. Dabei erfuhr ich schon als Schüler Mitte der 80er, daß in linke
Demonstrationen regelmäßig V-Männer als Provokateure eingeschleust wurden, die durch Steinewerfen Polizeieinsätze provozieren sollen, um die Demonstrationen insgesamt zu kriminalisieren. Veranstalter solcher Demonstrationen empfahlen damals, sich dann sofort auf den Boden zu setzen, um die Steinewerfer zu isolieren. SPIEGELonline hat das im Juli 2004 als neue Taktik der neoNazis dargestellt, daß diese sich als Autonome verkleiden würden, als diese so vorbei an der Polizei zum HolocaustMahnmal gelangen wollten.
Die Grenzen der sogenannten etablierten Parteien zum rechten Rand sind ohnehin verschwommen, nicht erst seit Angela Merkels Patriotismusdebatte und auch nicht erst seitdem der derzeitige Bundespräsident Horst Köhler mit seiner Phrase Ich liebe unser Land
die nationalistische Wählerschaft umarmt. Die völkischen Diskurse fingen an mit der Verteilung der Lasten der Einheit
, mit der Pervertierung des Begriffs Solidarität
beim mafiös betriebenen AufbauOst
und mit dem neuen internationalen Engagement der Bundeswehr nach Abzug der Besatzungstruppen. Seitdem wird selbst die Wetterkarte nationalisiert, daß uns
gutes oder schlechtes Wetter beschert wird. Daß das Grundgesetz aber vielmehr auf pluralistisches Gedankengut gegründet wurde, daß es die Würde des einzelnen Menschen an die vorderste Stelle stellt und jedem einzelnen deshalb selbst überläßt, ob er sich über nationale Gedanken oder eben nicht definieren will, ist längst vergessen und verdrängt, und nicht erst mit der HartzGesetzgebung schleicht sich die braune Ideologie vom Du-bist-nichts-dein-Volk-ist-alles langsam wieder ein, während in den 80ern Helmut Kohl für seine Parole, alle müßten den Gürtel enger schnallen, wenigstens noch verlacht wurde, da sein ewig vergebliches Abspecken am Wolfgangsee dieses Bild alljährlich ad absurdum führte.
Dabei fällt auf, daß im sächsischen Landtag der Alterspräsident Cornelius Weiss (SPD) eigentlich alles gesagt hatte, was man den Armseligkeiten von der NPD entgegenzuhalten brauchte. Mit seinem wunderbar einfachen Bild von der Brandfackel der Nazis zum Zweiten Welktrieg benannte er die Ursache, weswegen das Feuer der Brandstifter letztlich als Bombenhagel auch auf Dresden zurückgekehrt ist. Mehr gibt es dazu gar nicht zu sagen, und das reicht auch vollkommen, um die rechten Schergen von der NPD als armselig bloßzustellen. Warum beschränkt sich eigentlich die politische Klasse nicht darauf, diesen besten zum Eklat gesagten Worten beizupflichten? Warum versucht sich noch jeder selbst in dieser Posse zu inszenieren? Etwa die realoGrüne Claudia Roth, die zu erhöhter Wahlbeteiligung gegen rechts bei den bevorstehenden Landtagswahlen in SchleswigHolstein und NordrheinWestfalen aufruft, um mit der NPD die von schlechter politischen Sacharbeit enttäuschten Nichtwähler zum Mitlaufen zu erpressen.
Lustig hingegen die Diskussion um ein neues NPDverbotsverfahren - das sollen sie mal machen und zusehen, wer das nächste mal auf dem schwarzen Peter für die als V-Leute staatlich finanzierten neoNazis sitzen bleibt - Bundesinnenminister Otto Schily weiß schließlich aus solcher Erfahrung, warum er gegen ein neues Verbotsverfahren ist. Wer hingegen glaubt, mit neuen repressiven Instrumenten und Maßnahmen könnte der Staat effektiv gegen rechts vorgehen, der wird bitter enttäuscht werden, denn in BadenWürttemberg ist es bereits jetzt wieder ein politisch links
engagierter Lehrer, der von einem Berufsverbot betroffen ist - die Kumpanei von Staat und neoNazis bricht man nicht auf durch mehr repressive Befugnisse des Staates. Würden die politischen Parteien mit ihrer Sacharbeit überzeugen, würde nämlich ein schlichtes Zustimmen an Cornelius Weiss ausreichen - denn die Aufgeregtheit drumherum ist auch ein Indiz, daß jeder weiß, daß die politische Sacharbeit der etablierten Parteien eben nicht überzeugt. Aber nachdem die Hilfe für die Flutopfer im indischen Ozean thematisch aufgebraucht war, kam mit dem NPDeklat nun das nächste Thema, an dem sich die in politischen Ämtern Alimentierten beweisen wollten - aber Hauptsache keine sozial relevanten Themen anfassen.
Wie groß die Desorientierung ist, welche die immer weiter nach rechts rutschenden politische Mitte
nicht nur in Deutschland verursacht, dokumentierte kürzlich in England Prinz Harry, der als General Rommel mit Hakenkreuzarmbinde zu einer Party erschein - nie war mir sein Vater Prinz Charles sympathischer als daß ihn dieser Auftritt seines Sohnes zur Weißglut gebracht hat (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12). Entweder man steht intellektuell über dem Thema Faschismus wie Ernst Lubitsch mit Sein oder Nichtsein
oder das Hakenkreuz bleiben im Fundus. Um jedoch intellektuelles Drüberstehen vorzutäuschen macht sich der BoulevardPolemiker Henryk M Broder wie leider so oft lächerlich, indem er Harrys Kostüm als humoristische Glanzleistung verbuchte. Faschismus ist aber kein historisches Phänomen, das man abhaken könnte, sondern ein Fallstrick, der weiterhin an jeder Ecke lauert, wie selbst die Junge Union von MecklenburgVorpommern kürzlich feststellte als sie den aus der CDU ausgeschlossenen Antisemiten Martin Hohmann zum Vortrag einlud und auf erheblichen Druck wieder ausladen mußte. Auch Helmut Kohl hat nach einer lightVersion des Führerprinzips regiert, sich allein mit Speichelleckern umgeben und weggebissen, wer sich da nicht einreihen wollte - Gerhard Schröder und Joschka Fischer machen das in ihren Parteien keineswegs anders. Jedenfalls sind die sozialen Folgen der Politik dieser drei Autokraten fatal, denn Arbeitslosigkeit und Armut wachsen, Bildungsniveau und Aufstiegschancen werden vermindert, soziale Spannungen und Fremdenhaß nehmen zu und damit eben auch Rechtsextremismus. Politische Sachfragen sind durch den Führerkult in den etablierten Parteien konsequent in den Hintergrund getreten, und das ist der Grund, warum heute niemand sagt, Conelius Weiss hätte im sächsischen Landtag alles gesagt, was auf die Provokationen der NPD zu erwidern ist, wenn die NPD den Sitzungssaal verläßt, vermißt die sowieso keiner, also weiter in der Tagesordnung zu sozial relevanten Sachfragen. Denn daß die im Weghören und Wegsehen trainierten Parlamentarier ausgerechnet das Schwadronieren der neoNazis vom Bombenholocaust
erregen sollte, kann mir niemand weismachen.
Mit seiner Betonung, daß die überwältigende Mehrheit der heute lebenden Deutschen keine Schuld am Holocaust trage, steht Gerhard Schröder auch schon dicht an Helmut Kohls Gnade der späten Geburt
, und da ist es billig, wenn die deutsche Politik erst 60 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz zum Widerstand gegen Alt- und neoNazis aufruft, da die meisten Opfer längst verstorben sind und leider auch viele Persönlichkeiten, die eben nicht 60 Jahre gebraucht haben, um sich faschistischem Unrecht entgegenzustellen. Daß für Gerhard Schröder die Verlockung des Vergessens und Verdrängens hingegen sehr groß ist und er ihr eben doch gern erliegt, zeigte er daher bereits beim Vergessen der Zwangsarbeiter, welche die Kunstausstellung des Mick Flick erwirtschaftet hatten (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11). Maßstab müssen aber vielmehr jene sein, denen das Verdrängen und Vergessen gar keine Versuchung wert war und ist.
Zur politischen Bekämpfung von Rechtsextremismus bedarf es dreierlei, ersteinmal einen konsequenten parlamentarischen Widerspruch gegen deren rechte Ideologie. Da ist auch schon die Bezeichung einer massenAusweisung von mutmaßlichen Islamisten als Kehraus
fatal, genauso wie der Umstand, daß mit der Brechmittelfolter regelmäßig Afrikaner sonderbehandelt werden und zu Tode kommen. Dann sind Straftaten von Rechtsextremisten konsequent zu verfolgen und im Kontext ihrer Ideologie zu verurteilen anstatt diese als verirrte Einzelfälle zu verharmlosen. Und drittens darf Widerstand und Widerspruch gegen rechte Ideologie nicht weiter unterdrückt werden. Hier hatte insbesondere der Widerstand in zahlreichen Städten gegen Bestrebungen, mit der Ausstellung zu den Verbrechen der Wehrmacht Position gegen rechts zu beziehen, gezeigt, daß das politische Klima vielerorts eben doch eher auf Seiten der neoNazis steht. Daß in einem freiheitlichen gesellschaftlichen Klima dann eine lebhafte und lebendige Erinnerungskultur auch ohne staatliche Vorgabe entstehen kann, zeigt mir schon allein die wachsende Zahl von Stolpersteinen in Hamburg.
Über die derzeitige Aufgeregtheit der politischen Klasse könnte ich mich daher köstlich amüsieren, zeigt sie doch nichts mehr als Angst, von der eigenen Mitverantwortung am Erstarken des Rechtsextremismus eingeholt zu werden. Doch droht diese Aufgeregtheit schon wieder in Aktionismus umzuschlagen, etwa eine Verschärfung des Demonstrationsrechts, mit dem keineswegs neonaziAufmärsche unterbunden werden, sondern vor allem Proteste gegen künftige Hartz V bis XII und andere asoziale Grausamkeiten, nachdem die EinEuroSklaverei von Hartz IV daherkommend wie DDR-Beschäftigungswesen an unsägliche Traditionen des Reichsarbeitsdiensts anknüpft und mit seiner völlig fehlenden Distanz dazu bereits der Brandstiftung zuzurechnen ist...
(Unter Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr danach: WM-Fieber 2006 - und was vom angeblich positiven Nationalismus übrigblieb)
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