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© Dirk Burchard am 11. November 2009 www.ryker.de/dirk/archiv/fdgo.html

60 Jahre Grundgesetz - war da was?

Am 23. Mai 2009 wurde der VFL Wolfsburg zum ersten Mal deutscher Fußballmeister, Horst Köhler ließ sich zum Bundespräsidenten wiederwählen, und nebenbei wurde auch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland sechzig Jahre alt. Ein halbes Jahr später, wurde Helmut Kohls mißratener Einigungsvertrag neunzehn Jahre alt und daher von Regierungsvertretern lieber schon vorab der 20. Jahrestag des Falls der Mauer von vorgestern herausgestellt. Die politische Klasse feierte sich am 3. Oktober und vorgestern selbst mit einer Art Vorab-Karneval, denn ihre sogenannte freiheitlich demokratische Grundordnung gibt immer noch nichts wirklich zum Feiern her. Menschenrechte, Grundrechte oder Bürgerrechte taugen immer nur so viel, wie es notfalls tatsächlich effektiven Rechtschutz gibt, sie auch geltend zu machen. Aber genau daran mangelt es bis heute eklatant in diesem vorgeblichen Rechtstaat, der bis zum Abzug der westalliierten Besatzungstruppen immer mehr ein Lippenbekenntnis war zum Heucheln von demokratischer Läuterung...

Staatsformen nach Lucky Strike zum Bundestagswahlkampf 2009

Die Idee war gar nicht schlecht, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland zu eröffnen mit: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Toller Kontrast zur Du-bist-nichts-dein-Volk-ist-alles-Ideologie zuvor, und mir heute jedenfalls lieber als diese neue Ideologie von der Mutti aller Deutschen. Irgendwie weiß aber jeder, daß der schöne Anspruch von unantastbarer Menschenwürde niemals Rechtswirklichkeit in diesem Land geworden ist, und zwar nicht erst, seit benannt nach einem Korruptionsstraftäter mit der Ein-Euro-Zwangsarbeit ein moderner Reichsarbeitsdienst eingeführt wurde, den deutsche Richter tagtäglich neu legitimieren. Leider weiß auch kaum jemand, was Würde tatsächlich bedeutet. Die Definition von Menschenwürde haben in diesem Land alte Männer mit patzig herunterhängenden Mundwinkeln wie Roman Herzog an sich gerissen, die den Eindruck erwecken, als wäre es eine schwere Bürde, hochbezahlt zu rechtfertigen, was Bundesbürger (und gern auch Ausländer im Bundesgebiet) an Staatsgewalt zu erdulden haben. Bei Roman Herzog sah das mal so aus, daß er Anfang der 80er als Innenminister von Baden-Württemberg ganz stolz vor die Kameras getreten ist mit seiner Idee, die Friedensbewegung zu bekämpfen, indem er jedem einzelnen Sitzblockierer zwei angefangene Polizeistunden für’s Wegtragen in Rechnung stellen wollte. Als Bundesverfassungsgerichtspräsident brachte er dann die gesamte Strafrechtsdogmatik durcheinander mit einer Aufweichung des Gewaltbegriffs, um Sitzblockierer wegen Nötigung zu bestrafen. Würde ist aber etwas ganz anderes als nur eine Rechtfertigung von zu erduldender staatlicher Gewalt, denn Würde umfaßt die Wunschvorstellungen des einzelnen Menschen, das wofür jemand ganz persönlich lebt und leben will. Schlimm genug, sich zur Abwehr von staatlicher Gewalt dafür schon rechtfertigen zu müssen, bei derartigen Staatsgewalt-Fetischisten tatsächlich Gehör zu finden, ist praktisch ausgeschlossen. Wie wenig ein Bundesverfassungsgerichtspräsident von Menschenwürde begriffen haben kann, zeigte dann auch Roman Herzog später als Bundespräsident beim Umgang mit der DDR-Bürgerrechtlerin Ingrid Köppe, die im ersten gesamtdeutschen Bundestag die herausragende Aufarbeitung zum Schalck-Golodkowsky-Untersuchungsausschuß geleistet hatte, dabei aber auch dessen Helfershelfer in westDeutschland nicht unerwähnt gelassen hatte. Die Regierung Kohl hatte umgehend für einen Geheimhaltungsstempel gesorgt, aber der Bericht gelangte dennoch an die Öffentlichkeit. Es war eher zweifelhaft, daß ausgerechnet Ingrid Köppe selbst ihre Arbeit der westdeutschen Presse zugespielt haben sollte. Trotzdem wurde nach Ablauf ihrer parlamentarischen Immunität ihre Wohnung durchsucht, bevor das Verfahren gegen sie 1996 eingestellt wurde. Mit dieser Wohnungsdurchsuchung fiel zusammen, daß Roman Herzog einige DDR-Bürgerrechtler belobigen, sie also medial vereinnahmen wollte. Ingrid Köppe lehnte dieses Bundesverdienstkreuz mit Hinweis auf ihre Kriminalisierung ab, und Roman Herzog trat nach, indem er bei der Verleihung am 8. Oktober 1995 frotzelte, manche, die Freiheit erkämpft hätten, seien nun orientierungslos und verzweifelt.

Oliver Kalkofe als Richterin Barbara Salesch

Gerichtsshows im privaten Unterschichtenfernsehen verbreiten in Deutschland aufklärerisches Gedankengut: Spätestens nach einer Werbepause wird jeder noch so skurrile Sachverhalt einer einzelfallgerechten Lösung zugeführt, die zumindest im Kontext seiner Story einen allseits befriedigenden Abschluß darstellt, also Rechtsfrieden begründet. In der realen Justiz ist das oftmals anders. Dort rühmt man sich lieber seiner autoritären Verhandlungsführung, wenngleich nur in selbst gerechtfertigten Ausnahmen. Selten gibt es Richter, die überhaupt wissen, daß die Herbeiführung von Einzelfallgerechtigkeit ihre Aufgabe wäre. Der Päsident des eigentlich an vorderster Front dafür zuständigen Amtsgerichts Hamburg Heiko Raabe beklagte eine zunehmende Kluft zwischen Justiz und Gesellschaft, denn in der Bevölkerung herrsche eine tiefsitzende Unkenntnis über das, was Richter machten und was sie machen könnten, und: Gerichtsentscheidungen stießen deshalb immer häufiger auf Unverständnis und unberechtigte Kritik in der Bevölkerung. Selten wurde die Abgehobenheit der juristischen Kaste trefflicher beschrieben als in dieser Empörung über das eigene Versagen, nicht einmal zum Abschluß eines juristischen Erkenntnisverfahrens zu überzeugenden Einzelfalllösungen zu gelangen. Demgegenüber muß schon als beeindruckend gelten, wie Richter Manfred Steinhoff in Dessau das Scheitern seines Verfahrens zum Mordfall Oury Jalloh eingestanden und dies sogar vor einer aufgebrachten Menge zu vertreten versucht hatte. Das ist für hiesige Verhältnisse viel richterliches Verantwortungsbewußstsein, denn zumeist treten deutsche Richter mit der Außenwelt nur über ihre Geschäfststelle in Verbindung, versteckt hinter der feudalherrlich anonymen Formulierung auf richterliche Anordnung ergeht, damit bei Senats- und Kammerentscheidungen nicht ersichtlich ist, wer als Berichterstatter seine Entscheidung von seinen Kollegen abnicken läßt. Nein, viel Ehrgeiz haben deutsche Richter nicht, ihrem Amtseid entsprechend Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben, oder einfach eine besondere Vorstellung von Gerechtigkeit, die in dieser Serie noch erläutert wird.

ICE-Unglück von Eschede vom 3. Juni 1998

Die Dezentralisierung von Entscheidungen der Justiz macht es unmöglich, ihre Komplexität umfassend empirisch zu würdigen, weswegen hier an beispielhaften Gerichtsverfahren das organisierte Versagen der bundesdeutschen Rechtstaats verständlich gemacht werden soll. Es kann hier nur darum gehen, grob die Zusammenhänge herauszustellen, die auch viele andere Verfahren immer wieder prägen. Ein besonders aufschluß- und folgenreiches Justizversagen ist zunächst der Prozeß um das ICE-Unglück von Eschede vom 3. Juni 1998 (1, 2, 3, 4, 5, 6). Ein tatsächlicher Rechtstaat sollte nach 101 Todesopfern und 88 Schwerverletzten zur Sicherstellung des öffentlichen Personenfernverkehrs einen erheblichen Aufwand betreiben, um die Verantwortung hierfür zu klären. Zumindest Zeit hatte sich der Vorsitzende Richter am Landgericht Lüneburg Michael Dölp genommen, um dann aber doch am sogenannten Gutachterstreit zu scheitern und das Verfahren gegen vergleichsweise geringe Geldbußen einzustellen. Wenn Schuld zu komplex wird titelte die SPIEGEL-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen zustimmend, die sich neuerdings auch in Justiz-Kritik versucht, die andernorts etwas schärfer ausfällt. Warum war es denn zu schwer für diese Richter, bei Gutachtern nachzufragen - zum Beispiel so: Sie müssen mir diese technischen Zusammenhänge jetzt so erklären, daß ich sie verstehe, und warum gelang die Meinungsbildung nicht, die Verantwortlichkeiten bei der Bahn zu klären und in einem Urteil zu begründen? Verantwortung hat zu tragen, wer sich dafür bezahlen läßt, das ist doch einfach. Und warum kommt in einem Strafverfahren nicht zur Klärung, was der Bundestagsabgeordnete Winfried Wolf herausbekam? Nämlich daß ein namentlich bekanntes Vorstandsmitglied der Bahn regelwidrig die letztlich den Unfall verursacht habenden Radreifen intern durchgesetzt hatte, sowie daß die Bahn zum beweisvernichtenden Abtransport nachts mit einem Kranwagen zur Unglücksstelle gekommen war, den auch irgendjemand angeordnet haben mußte. Wegen derartiger Unfälle die jeweiligen Verantwortlichkeiten zu ergründen und überzeugende Strafurteile zu fällen, ist gar nicht schwer, wie ein Blick in die Schweiz zeigt, wo Staatsanwälte und Richter nach dem Flugzeugzusammenstoß von Überlingen überhaupt keine Probleme hatten, insbesondere die organisatorisch verantwortlichen Führungskräfte des Flugsicherungsunternehmens Skyguide zu bestrafen. Notwendig ist das auch, um Großunternehmen wie die Bahn zu einer Änderung ihrer gefährlichen Schlamperei zu zwingen, da anders als in den USA ein entsprechender Druck in Deutschland nicht durch hohe Schadenersatzansprüche der Opfer und Hinterbliebenen entsteht. Die Folgen dieser unterbliebenen juristischen Aufarbeitung zum verunglückten ICE 884 Wilhelm Conrad Röntgen sind dramatisch. Die Bahn verschleppte ihre Probleme mit den Rädern ihrer ICE bis es im Juli 2008 in Köln zu einer erneuten Entgleisung, sowie einer massiven Häufung von Problemen kam (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106). Die Reifenprobleme der Bahn eskalierten dann besonders Image-schädigend im Juli 2009 mit den dramatischsten Ausfällen der S-Bahn in Berlin seit Beendigung des Zweiten Weltkriegs (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28). Es hätte sehr viel Schaden vermieden werden können, wenn schon im Verfahren zum Eschede-Unglück die Verantwortlichkeiten bei der Bahn geklärt worden und auf eine Behebung der technischen Mängel gedrängt worden wäre.

Einfach zu beantworten ist allerdings die Frage, warum der bundesdeutschen Justiz eine derartige Aufarbeitung von Unglücksfällen regelmäßig mißlingt, warum nur sehr selten wie in der Schweiz die organisatorische Verantwortung ermittelt wird, wenn etwa beim ICE-Unfall im Landrückentunnel mit Schafen vom 27. April 2008 zuerst gegen den Schäfer, zwischendurch erst einmal gegen den betrunkenen Lokführer einer Rettungslok und danach erst gegen die organisatorisch zuständige Bahn ermittelt wird (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19). Auch beim Unglück eines Transrapids auf einer Testrecke genannten Werbeverkaufsveranstaltung im Emsland reichte die Verurteilung von Angestellten, ohne im Betreiberkonsortium von Siemens und ThyssenKrupp nach Verantwortlichen für fehlende oder mangelhafte Sicherheitstechnik zu ermitteln, vielleicht um deren Geschäfte nicht zu stören. Bundesdeutsche Juristen werden schon nicht ausgebildet, nach individueller Verantwortung zu differenzieren. Während klassische Studiengänge mit einer Diplom- oder Magisterarbeit abgeschlossen werden, mit denen eine wissenschaftlich investigative Arbeitsweise exemplarisch demonstriert wird, endet die Juristenausbildung im Klausurexamen, bei dem schon abgeschlossene Sachverhalte abzufertigen sind, so daß die Prüfer eine Übereinstimmung mit einer Lösungsskizze feststellen können. Sind die maßgeblichen Prüfer beim Ersten Staatsexamen immerhin noch Professoren, die auch schonmal wissenschaftlich arbeiten, so werden die Klausuren im Referendarexamen regelmäßig von sogenannten Praktikern geprüft, die insbesondere Korpsgeistkompatibilität belohnen. Darüber kommt es zum hochbenoteten Ideal eines bundesdeutschen Juristen mit dem Habitus des Burschenschaftlers einer schlagenden Verbindung, der schneidig den ihm übertragenen Fall abfertigt, weil nur dies den Prüfer beim Durcharbeiten seines Klausurenstapels aus der Langeweile reißt. Einmal habe ich das im Referendarexamen ausprobiert, einen Kläger arrogant abzukanzeln, weil ich genervt war und nach Hause wollte, und für diese vermeintliche Demonstration von Korpsgeistkompatiblität wurde ich mit 12 Punkten belohnt. Diesen zackigen, Kompetenz vortäuschenden Stil trainieren angehende Juristen in kostenpflichtigen Repetitorien, wo sie sich zum Auswendiglernen der entsprechenden Textbausteine und Stichworte drillen lassen, mit denen sie schnell auftrumpfen können, ohne von der Thematik tatsächlich Ahnung zu haben. Anspruchsvoller ist die bundesdeutsche Juristenausbildung nicht, so daß Richter nur wird, wer in dieser Disziplin des Klausurenschreibens besonders hohe Punktzahlen erzielt, weil er damit bei möglichst vielen Insidern dokumentiert hat, daß er wie sie funktioniert. Wenn hingegen ein bundesdeutscher Richter, Staatsanwalt oder sonstiger Beamter dennoch Talent beim Ermitteln eines Sachverhalts hat, dann nicht wegen dieser Ausbildung, sondern er hat sich diese Fertigkeiten trotz dieses Verblödungsdrucks erarbeitet. Die Folge dieser Juristenauslese sind unter anderem, daß vergessenes Auswendiggelerntes von Richtern bei anderen Eliten ebenso wohlwollend nachgesehen wird, wie etwa die Begründungen von individuellen Gewissensentscheidungen von Totalverweigerern niedergebrüllt wurden, gegen die es einfach kein Alpmann-Schmidt-Skript zum Auswendiglernen gab. Daß so ausgelesene Richter bei der Differenzierung von individueller Verantwortung versagen, ist vorprogrammiert. Ich bin heute recht stolz darauf, daß ich meine Ausbildung genutzt habe, um mir ein komplexes rechtstaatliches Verständnis zu erarbeiten, daß ich dem Verblödungsdruck von Repetitorien und Klausurexamina getrotzt habe und daß ich mir zum Abschluß meiner Ausbildung ein zuvor nirgends veröffentlichtes Verständnis des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung erarbeiten konnte, mit der ich zumindest in diesem Rechtsbereich sehr erfolgreich arbeiten konnte. Schade daher, daß mir die bundesdeutsche Justiz die Anerkennung dieser Arbeit verweigert und mich wegen fehlender Korpsgeistkompatibilität ausgesondert hat. Aber ich habe es wenigstens mit rechtstaatlichem Gedankengut versucht.

Überschriftenwechsel bei SPIEGEL ONLINE Was machen nun diese opportunen Juristen, die staatsbesoldet zwar in der Lage sind, auswendiggelernte Textbausteine und Stichworte zu repetieren, nicht aber einen Sachverhalt und Verantwortlichkeiten zu ermitteln? Ganz einfach, sie entscheiden sich vorab für eine korpsgeistkonforme rechtliche Würdigung, wie sie eine Partei abfertigen wollen und basteln danach davor einen Sachverhalt oder verbiegen diesen so weit, daß sich daraus scheinbar zwingend die vorab entwickelte rechtliche Bewertung ergibt. Man erkennt diese Richter an ihrem autoritären Habitus, daran, daß sie nichts reflektieren, ständig ihre juristische Kompetenz herausstellen, meist noch einen Doktortitel wie eine Standarte vorwegtragen und in mündlichen Verhandlungen eigentlich nur abfragen, was ihre vorgefertigte Meinung untermauern soll. Ein tatsächliches Erkenntnisverfahren, in dem die auch für die Parteien relevanten Sachverhaltsaspekte ermittelt und komplex juristisch gewürdigt werden, findet bei solchen Richtern gar nicht statt. In einer selbstbezogenen Kaste wie der bundesdeutschen Justiz kommt es in den allermeisten Fällen nämlich nur darauf an, daß in der nächsten Instanz irgendein Richter mit herunterhängenden Mundwinkeln die Entscheidung als "wasserdicht" anerkennt, da der Sachverhalt scheinbar juristisch korrekt gewürdigt wurde. Völlig unwichtig, ob der Sachverhalt im Urteil mit dem übereinstimmt, den die Parteien erlebt haben. Eine schlampige bis demagogische Sachverhaltsermittlung wird in nachfolgenden Instanzen praktisch nie wieder aufgearbeitet, was exemplarisch besonders anschaulich der Fall des Marokkaners Mounir al-Motassadeq belegt. Der wurde als sogenannter Terrorhelfer zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, vermutlich nur zur Befriedigung der US-Regierung unter George W Bush während ihrer spannungsreichen Zeit mit der Bundesregierung unter Gerhard Schröder (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8), denn nachdem die erste Verurteilung des Hanseatischen Oberlandesgerichts zur Höchststrafe von 15 Jahren Freiheitsstrafe vom Bundesgerichtshof aufgehoben worden war, war es eigentlich juristisch schwerlich möglich, wie der Vorsitzenden Richter Albrecht Mentz aus der düftigen Beweislage erneut eine abenteuerliche terroristische Räuberpistole zu kreieren. Im zweiten Anlauf wollte Richter Ernst-Rainer Schudt seinen Prozeß dann auch ausschließlich nach den Grundsätzen der Strafprozessordnung führen, hatte aber mit dramatischen Beweisproblemen zu kämpfen und begründete seine Verurteilung zu sieben Jahren Freiheitsstrafe lediglich mit dem Kaugummistraftatbestand der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, da Motassadeq für eine tatsächliche Terrorbeteiligung angeblich als zu weich erachtet worden sei. Der Bundesgerichtshof warf dann seine gesamte Autorität in die Waagschale und befand im Revisonsverfahren nach Aktenlage und auf SPIEGEL ONLINE dokumentiert mit nebenstehendem Überschriftenwechsel, Motassadeq sei sehr wohl Terrorhelfer, der zwar nicht alle Details der Anschläge des 11. September 2001 kannte, aber eingeweiht war. Erneut in Hamburg hatte ein Verkehrsrichter im Schnellverfahren nur noch über das Strafmaß zu entscheiden, der wieder auf 15 Jahre Freiheitsstrafe kam. Verfassungsbeschwerde und erneute Revision wurden eiligst abgebügelt. Ich kann zwar nachvollziehen, daß die Angehörigen der Opfer des 11. September 2001 einen tatsächlichen Mittäter verurteilt sehen wollen, der damals nicht im einem der Flugzeuge gestorben ist, und ich kann auch nachvollziehen, daß ihnen als Ausgleich nicht genügt, daß US-Präsident George W Bush hundtertausende bis eine Million Menschen in Afghanistan und im Irak getötet hat, aber mir ist nach allem kein einziger Beweis und überhaupt kein überzeugendes Indiz bekannt, das Motassadeqs Tatbeteiligung belegen würde. Mich überzeugt eher die spanische Justiz, die nach den Anschlägen auf Züge in Madrid vom 11. März 2004 acht Tatverdächtige freigesprochen hat, darunter sogar den Hauptverdächtigen, da den spanischen Richtern offensichtlich die Vertrauenswürdigkeit in die Rechtstaatlichkeit ihres Verfahrens wichtiger war als eine Verurteilung.

Eine andere vorhersehbare Verurteilung, mit der die bundesdeutsche Justiz vor internationaler Presse auch mal beweisen wollte, daß Islamophobie in Deutschland nicht geduldet wird, erging heute in Dresden. Ein grausamer Mord, die Ägypterin Marwa al-Schirbini im Gerichtssaal zu erstechen, sicherlich, nur zwei maßgebliche Tatbeteiligte saßen gar nicht mit auf der Anklagebank: Das bundesdeutsche Staatsbürgerrecht und die Politik im Freistaat Sachsen. Wärend die al-Schirbinis von Ausländerrecht mit üblicherweise zermürbende Verfahren um Duldungen, Arbeitserlaubnisse oder vielleicht diesen Terrorfragebögen erniedrigt und auch stigmatisiert werden, hatte Alex W. als sogenannter Russlanddeutscher seinen deutschen Paß gerade wegen seines Bekenntnisses zur arischen Rasse erhalten, weil das bundesdeutsche Staatsbürgerrecht immer noch von der rassistischen Blutsherkunft ausgeht, und das dann ausgerechnet in Sachsen, wo es um die politische Bekämpfung des Rechtsextremismus besonders schlecht bestellt ist, wo die Parteien ganze Landstriche den Demagogien der NPD überlassen haben und CDU-Abgeordnete im Landtag schonmal mit der NPD stimmen. Von der russischen Armee wegen Schizophrenie ausgemustert, vom deutschen Staat für seine arische Abstammung belohnt und vom Land Sachsen grob fahrlässig rechtsextremen Rattenfängern ausgeliefert, ist er für seinen Ausländerhaß jedenfalls nicht vollkommen allein verantwortlich. So widerlich ich diese Tat auch finde, daß Alex W. diesem offensichtlich ergebnisorientierten Schauprozeß zur Verleugnung dieser staatlichen Mitverantwortung mit seiner Maskerade den Respekt verweigert hat, halte ich für angemessen (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32).

Vorgestern, zum wahren Tag der deutschen Einheit feierten die Nutznießer des bundesdeutschen pseudoRechtstaats in Berlin, daß sie sich inzwischen kritisches Gedankengut weitgehend fernhalten, seit zuletzt vor zwanzig Jahren eine Mehrheit von DDR-Bürgern echten Bürgerrechtlern gefolgt war. So revolutionär war die Überwindung eines der letzten pseudo-sozialistischen Regime in Europa zwar nicht mehr, nachdem nebenan viel mutigere Polen einen solchen Zustand bereits mit einem Bürgerkrieg überwunden hatten, woraufhin Michail Gorbatschow das Scheitern der Sowjetunion schon eingestanden hatte, aber egal. Angela Merkel leierte dazu mit der ihr eigenen Leidenschaftlosigkeit am Brandenburger Tor inklusive der üblichen Lügen zu den angeblichen Leistungen von Helmut Kohl, und sie hakte dabei auch pflichtschuldig die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in einem Absatz ab, als sei das sowieso nur Geschichte. Es ging auch nicht um eine individuelle Besinnung auf Kreuzwege der Geschichte, an denen sich der einzelne individuell falsch oder richtig entscheiden kann, bei diesem Einheits-Kitsch mit Freßbuden und völkisch-nationalistischem Trallala, auch wenn ich durchaus amüsiert die lahmen Vereinnahmungsversuche dieses Tags durch die bundespolitische Elite beobachte, zu dem der Deutsche Bundestag entschieden hatte, daß die Unterzeichnung von Helmut Kohls Einigungsvertrags der angemessenere Tag der deutschen Einheit sei.

KritV 1999, 239 Wie bekloppt geht’s jetzt weiter? Die politischen Jecken könnten in Berlin künftig jeden 9. November eine Art Vor-Karneval feiern und vielleicht am Tag darauf ihr närrisches Feuer am ehemaligen Kontrollpunkt Marienborn den Rheinländern zur Eröffnung der dortigen Karnevalssaison übergeben, schon allein um ihren neopreußischen Hauptstadtanspruch herauszustellen, wo doch jeder Karnevalswagen politischer und näher an den Menschen ist als Merkels und Köhlers hohler Einheits-Pathos. Jedenfalls hat das neopreußisch-nazionale Wiedererwachen seit der Wiedervereinigung eine neue Qualität bekommen. Kritisches Gedankengut wird nicht mehr unmittelbar bekämpft, sondern von der politischen Klasse vereinnahmt und bis zu Wirkungslosigkeit verlabert. So war ich bis in dieses Jahrtausend hinein gewohnt, mit meinen beiden rechtswissenschaftlichen Schwerpunkten Umweltrecht und zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Nestbeschmutzer zu gelten, der dem neuen deutschen Ansehen schadet, das nach Abzug der alliierten Besatzungstruppen eigentlich so etwas wie Jürgen Schrempps Welt-AG in die Welt tragen sollte. Während meines Referendariats in Sachsen-Anhalt galten Naturschutz und Datenschutz allgemein als hinderlich für den Aufbau Ost und als abschreckend für sogenannte Investoren. Angela Merkel entdeckte dann, daß sie sich mit den von ihr als Kohls Bundesumweltministerin noch bekämpften Argumenten zum Klimaschutz an George W Bush profilieren konnte, um wenigstens etwas Distanz zu diesem ihr sonst sehr nahestehenden Terror-Weltkrieger vorzutäuschen. Dabei bemerkte sie auch, daß sie als vorgebliche Vorreiterin für den Klimaschutz mit allen möglichen Vergewaltigungen dieses Themas durchkommt, etwa internationale Klimavereinbarungen immer auf die Emissionswerte von 1990 auszurichten, anstatt auf das viel naheliegendere Jahr 2000, womit die Deindustrialiserung der DDR bereits der bundesdeutschen Klimabilanz zuzurechnen ist. Merkwürdigerweise gibt es immer noch Enttäuschte, die sich wundern, daß Angela Merkel mit den von ihr gekaperten Argumenten gar nicht ernsthaft für Fortschritte beim Klimaschutz streitet. Mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist das ähnlich. Seitdem er über die Online-Durchsuchung von Wolfgang Schäubles Stasi 2.0 entscheiden durfte, profiliert sich der Bundesverfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier, der eigentlich eher ein Experte für Eigentumsfragen ist, als Prophet eines Supergaus des Datenschutzes. Er springt dabei auf gesellschaftliche Sensibilisierungen auf, welche die Indienstnahme alter Stasi-Seilschaften zur systematischen Überwachung bei der Telekom ausgelöst hatten, aber auch die Aufarbeitung von Korruption bei Siemens infolge massiven Drucks der US-Börsenaufsicht. Prominentester Stolperer über diesen neoDatenschutz wurde Hartmut Mehdorn, dessen einzig herausragende Leistung beim Abwirtschaften des öffentlichen Personennah- und Fernverkehrs der Bahn eigentlich war, daß er für seinen geplanten Börsengang effektiv die Korruption bekämpft hatte, so daß es vermutlich Revanchismus von Verlierern dieser Macht- und Verteilungskämpfe war, welche diese plötzliche Empörung wegen zunächst noch vergleichsweise harmloser Datenabgleiche ausgelöst haben, die als grobe Rasterfahndung bei Entscheidungsträgern vielleicht noch unproblematisch einwilligungsfähig gewesen wären, dann aber doch dramatisch ausgeufert sind (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97). Das systematische Überwachen von individuellem Kommunikationsverhalten bei der Telekom war jedoch weitaus dramatischer, ebenso wie es Bluttests bei der Jobsuche sind, Ausspähungen der Datenbanken der Bundesagentur für Arbeit oder die Überwachung innereuropäischer Banküberweisungen durch US-Terrorjäger. Nun war das Bundesdatenschutzgesetz immer das schwächste von allen Datenschutzgesetzen in Deutschland, so daß Papiers neuerliche Warnung vor einem Supergau des Datenschutzes etwas spät kommt. Der Datenschutz-GAU ist schon lange da, auch weil Papiers Bundesverfassungsgericht letztlich den meisten Stasi-2.0-Schweinkram höchstens mit ein bißchen Du-Du durchgewunken und niemals ernsthaft darauf gedrungen hat, den Bürgern tatsächlich effektiven Rechtschutz zu verschaffen zur Verteidigung der Hoheit über ihre Selbstdarstellung zu verschaffen. Auch hat er das Freiheitsrecht der informationellen Selbstbestimmung nicht wirklich begriffen, wenn er tendenziell zur Selbstzensur rät, möglichst wenig von sich preiszugeben. Freiheit bedeutet hier vor allem, sich unbefangen zu fühlen und sicher, einen Eingriff in diese Freiheit auch effektiv abwehren zu können. Bei der Hoheit über die eigene Selbstdarstellung geht es zum Beispiel auch um so etwas, was ich hier betreibe, mir mit dieser Website meine zurückzuholen, nachdem reaktionäre Seilschaften sich zur Verteidigung ihrer Pfründe und auch mit Billigung von Papiers Gericht primitiv zusammengerottet hatten, um sich an meiner ihrem Korpsgeist nicht huldigenden Arbeit abzureagieren. Herr Papier wird scheitern mit seinen Mahnungen in seiner Juristenkaste, die allenfalls beim Repetitor auswendig lernen würden, daß etwa zur Einrichtung einer Überwachungskamera ein Hinweisschild anzubringen sei, was mit tatsächlich effektiv selbstbestimmter Freiheitsausübung auch nichts zu tun hätte. Da war ich 1998 schon weiter und auch bei der Gefolgschaft des Herrn Papier nicht opportun, wo immer noch die herunterhängenden Mundwinkel Unterwerfung und Auswendiglernen ihrer Ideologie fordern und gezielt selbstbewußte Persönlichkeiten aussondern, die schonmal leidenschaftlich idealistisch für Freiheitsrechte eintreten. Ein tatsächlich freiheitlich demokratischer Rechtstaat ist mit diesen Seilschaften nicht zu erreichen...



Die beiden Fortsetzungen dieser Trilogie zur bundesdeutschen Variante eines Rechtstaats sind erschienen am 27. Januar, sowie am 25. April 2010, und zwischenzeitlich hat sich ein neuer aufschlußreicher internationaler Vergleich zur Schlechtleistung des deutschen Rechtstaats diesmal mit den USA ergeben, wo Verantwortliche der Finanzkrise bei Platzhirschen wie Goldman Sachs ermittelt werden oder auch bei Morgan Stanley bis zur Deutschen Bank während Hauptverantwortliche in Deutschland wie Josef Ackermann geschont oder wie Wolfgang Peiner schon gar nicht ins Visier genommen werden.





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