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© Dirk Burchard zum 3. Oktober 2012 www.ryker.de/dirk/archiv/wulff.html

It's all about taste…

Kohlfeiertag mal wieder. So inhaltsleer ist die Unterzeichnung von dessen Einigungsvertrag durch Wolfgang Schäuble und Günther Krause in 22 Jahren geblieben, daß Google heute bereits den Fall der Mauer auf diesen Tag verlegt. Mit Christian Wulffs Rede zum 20. Jahrestag hatte ich mich noch auseinandergesetzt, letztes Jahr schon nicht mehr, und zu einer dritten Ansprache ist er dann nicht mehr gekommen. Mit diesem öffentlichen Brief an ihn möchte ich meine Eindrücke dazu abschließen, um mich zum wahren Tag der deutschen Einheit auf inspirierendes auszurichten.

Herr Wulff, Sie feiern am gleichen Tag Geburtstag wie ich. Am gruseligsten aufgefallen ist mir das am 4. Januar 2012, als Sie Ihre diversen Mitnahmen vor Ulrich Deppendorf und Bettina Schausten relativiert und gerechtfertigt, sowie Ihre persönliche Verantwortung verallgemeinert haben mit: Durch diese Art von Umgang mit den Dingen hat man dem Amt sicher nicht gedient. Ich wußte immer, wo sie die Wahrheit verbiegen ohne tatsächlich zu lügen, und vor allem wußte ich, ich würde ganz genau so reden, wenn ich diese ganzen reaktionären Kompromisse gemacht hätte wie Sie. Habe ich aber nicht, und es hat mir bisher noch weniger genutzt als Ihnen Ihre Art der Karriereplanung. Deutschland ist nicht das Land für Bürgerrechts-Karrieren wie Aung San Suu Kyi, die auch mit Ihnen und mir am gleichen Tag Geburtstag feiert, vielmehr ist Deutschland eher das Land, das Dirk Nowitzki nicht die Entfaltung seines Potentials bieten konnte, die ihm woanders gelang – und dessen Geburtstag ist ebenfalls der 19. Juni.

 Gratis-Ausgabe des Hamburger Abendblatts vom 26. April 2010

Sie, Herr Wulff, waren als Ministerpräsident in Niedersachsen der Sonnyboy mit dem Schwiegermutterlächeln für das, was Georg Schramm den Urnenpöbel nennt. Ihr Parteifreund Ole von Beust hat das in Hamburg ganz genauso gemacht. Sie beide sollen sich nicht sonderlich verstanden haben, aber Sie haben beide Ihren Aufstieg mit der Springer-Presse gemacht und sind auch beide in deren Aufzug wieder runtergefahren, wie Mathias Döpfner das in seiner Gnadenlosigkeit dahinsagt, dieser Dieter Bohlen der Oberschicht, der sich arriviert wähnende wie Sie, Herr Wulff, für ihre Aufstiegsträume verarscht. Der überschrittene Rubikon war bei Ole von Beust am Montag, den 26. April 2010, eine Gratis-Ausgabe des Hamburger-Abendblatts unerbeten in hiesigen Briefkästen mit der Titelschlagzeile Olaf Scholz beliebter als von Beust. Die Springer-Presse benutzte ihren einstigen Liebling nur noch als Werbung für ihren vermeintlich ausgewogenen und nicht einfach nur CDU-nahen Qualitätsjournalismus mit einer dieser Beliebtheitsumfragen, bei denen regelmäßig auch Angela Merkel auf viel mehr Zustimmung stößt als überhaupt noch Menschen zu Wahlurnen pilgern. Vermutlich hatte der Geldadel hier in Hamburg einfach festgestellt, daß im Windschatten eines SPD-Senats viel bessere Geschäfte zu machen waren als mit diesen tumben CDU-Seilschaften, die sich im Fahrwasser des Sonnyboys mit dem Schwiegermutterlächeln für den Urnenpöbel in irgendwelche Machtposten seilschaften und nur für Chaos in der Stadt sorgen, so daß ein gemeinsames Sich-selbst-als-Elite-Feiern in der Elbphilharmonie immer unerreichbarer wurde. Und genau über solche Seilschaften in Ihrem Fahrwasser sind Sie letztlich gestolpert, Herr Wulff:

Man weiß eigentlich über jeden etwas und wartet darauf, es ausspielen zu können, hat mir mal ein Beamter aus einem Finanzministerium über seine Karriere erzählt, und nur so haben Ihre CDU-Seilschaften Sie als den Sonnyboy mit dem Schwiegermutterlächeln für den Urnenpöbel geduldet, weil sie mit Ihren vergleichsweise kleinen Mitnahmen für diese letztlich beherrschbar und irgendwo doch einer von denen waren. Bei Ole von Beust dürfte es die sexuelle Orientierung gewesen sein, die seinen CDU-Seilschaften ein Gefühl der Sicherheit gegeben hat, ihn jederzeit absägen zu können, und Ronald Schill soll damit bekanntlich gedroht haben. Ich weiß selbst als jemand, der Behördenkopierer nicht einmal für Privatkopien benutzt hat und selbst seine Verteidigungen gegen ein rechtswidriges Disziplinarverfahren einer Zusammenrottung von Freisler-Traditionalisten noch im Copy-Shop kopiert hat, damit diese Seilschaften nichts zum Anhängen finden könnten, wie nervös die das macht: Als dieses rechtswidrige Disziplinarverfahren gegen mich lief und sich diese reaktionären Seilschaften damit bereits bis auf ihre Knochen blamiert hatten, gab mir eine strunzdumme Ausbilderin in der Staatsanwaltschaft Stendal mal eine Akte zu einem Gerichtstermin, die angeblich noch kurzfristig dazugekomen wäre. Sie war interessant zu lesen: Ein Mädchen im Jugendknast, weil sie Jungs zu verprügeln pflegte, aber es war überhaupt nichts mit dieser Akte zu erledigen. Als ich im Amtsgericht Burg bei einer ebenfalls fachlich nicht beeindruckenden Richterin am Ende unserer Termine fragte, was denn jetzt mit dieser Akte sei, sagte sie einfach nur, die müsse ich ihr geben. Eine Woche später bei einer anderen Richterin im Gerichtssaal klingelte das Telefon und diese Richterin ließd fragen, ob ich diese spezielle Akte dabei hätte. Auf meine Antwort, die hätte ich ihr letzte Woche gegeben, passierte etwas herrliches, daß die Protokollführerin einfach spontan bestätigte, sie sei dabei gewesen. Als ich dann auch noch die Frage, ob ich wenigstens die Handakte dabei hätte, beantworten konnte, die hätte ich rausgenommen, die Aktenübergabe darin vermerkt und der Geschäftsstelle übergeben, war die Attacke erfolgreich abgewehrt, denn handschriftliche Vermerke stehen zumeist auf der Rückseite des letzten Aktenblatts zwischen anderen handschriftlichen Vermerken und sind nur schwer zu entfernen. Meine bekloppte Ausbilderin konnte mir nur noch ein vernichtendes Zeugnis reinwürgen, bei dem jedem normalen Menschen beim Lesen klar würde, daß diese Frau einfach nur im Korpsgeist mittreten wollte, wie übrigens auch jedes andere Referendarzeugnis exakt beurteilt hat, wieviel bei den jeweiligen Ausbildern zu lernen war. Meine berufliche Aussonderung war damit sowieso erledigt, da ich zu solchen Seilschaften gar nicht kompatibel bin, wenn ich mich nur bei deren Korpsgeist zum Durchtreten von Auswendiggelerntem auf die Unterschicht einreihen dürfte.

Und solch einem Mob, der sich auch noch in Ihrem politischen Fahrwasser die Posten und Pensionsansprüche zugeschoben hat, glaubten Sie im Amt des Bundespräsidenten entkommen zu können? Sie sind Mitglied einer Partei, die Einigkeit nur darüber findet, anderer Lebensentwürfe abzuqualifzieren, deren Mitglieder Jahrzehnte gegen Öko-Spinner kartätscht haben und auf einmal wie Deppen dastanden, als Angela Merkel infolge von Fukushima aus Angst vor einem Hochkommen ihrer persönlichen Atom-Altlasten aus ihrer Zeit als Kohls Bundesumweltministerin im Superwahljahr ihre eigene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke zurückgenommen und eine Energiewende versprochen hat. Roland Koch hatte für Ihre Christdemokratische Union noch erfolgreich Wahlkampf mit Unterschriftensammlungen gegen Ausländer betrieben, während Wolfgang Schäuble als Bundesinnenminister irgenwann zähneknirschend Integrationsgipfel veranstalten mußte, und so einer Partei wollten Sie damit kommen, daß der Islam auch zu Deutschland gehören würde? Für derartige Nestbeschmutzungen, daß Sie auf einmal etwas besseres sein wollten als die Seilschaften aus Ihrem ehemaligen Fahrwasser, wurden dann die Gerüchte getratscht, die sich medial zu einer Kampagne verdichtet haben und Sie letztlich zu Ihrem Rücktritt gezwungen haben.

Jutta Ditfurth findet, der Islam gehöre zu Deutschland sei Ihr bester Satz gewesen. Das fand und finde ich nicht, aber sie hat selbstverständlich recht, daß ihr Nachfolger selbst das von Ihnen gemeinte noch zurücknehmen will. Mit Ihrer damaligen Sozialministerin in Niedersachsen Aygül Özkan war und bin ich vielmehr ein Anhänger der Trennung von Staat und Kirche, damit Religion Privatsache bleibt und eine individuelle Entscheidung, wo jemand seinen spirituellen Halt sucht und vielleicht auch findet. Die Religionsfreiheit aus Artikel 4 GG verbietet es daher auch Bundespräsidenten, bestimmen zu wollen, welche Religionen zu Deutschland gehören und welche nicht. Trotzdem haben Sie, Herr Wulff, Ihre Aussage immerhin in beachtlicher Weise mit Inhalt gefüllt, indem Sie sich um die Angehörigen der Opfer des NSU-Mord-Terrors gekümmert und eine Gedenkveranstaltung organisiert haben, die in der Tat einen würdevolleren Rahmen verdient hätte als Ihren Rücktritt wenige Tage zuvor.

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Ihr Nachfolger wird hieran leider nicht anknüpfen. Als Kohls Herrscher über die Stasi-Unterlagen und angeblich wortgewaltiger Demokratie-Lehrer sollte er der beste Experte für verselbständigte Geheimdienste sein und die Verstrickungen bundesdeutscher Inlandsgeheimdienste in die Mordserie des National-Sozialistischen-Untergrunds so prägnant auf den Punkt bringen können, daß eine breite Mehrheit sofort begreift, was das Problem ist. Aber auch zum heutigen Kohlfeiertag wird er eher seine Untertanen zu mehr Gemeinsinn beim Erwirtschaften der bereits bezahlten Bankenrettungen auffordern, anstatt festzustellen, daß westdeutsche Inlandsgeheimdienste ebenso wie die Stasi der DDR von altNazis aufgebaut wurden, daher strukturell schon dazu neigen, über V-Leute eine rechtsextreme Szene zu finanzieren, sowie mit der Linkspartei ausgerechnet die staatsgläubigste Partei von allen zu überwachen und daß deshalb die bundesdeutschen Inlandsgeheimdienste, sowie ihre Unterlagen ganz ähnlich wie die Stasi aufzulösen und abzuwickeln wären. Aber ein Blick auf die Startsteite von www.spiegel.de zeigt, daß er nur noch schweigend zwischen anderen Repräsentanten dieses Staates strammsteht und lediglich Norbert Lammert zum Kampf für Europa aufruft, als sei es nicht Angela Merkels nationalistische Politik mit ihrem Kern-Europa-Ideologen gewesen, die zwei Jahre lang alle Probleme vergrößert hatten, die ihr inzwischen die beiden Super-Marios von Goldman Sachs abgenommen haben, die den Zwei-Billionen-Euro-Schuldenberg in Italien verwalten und inzwischen zur Befriedigung der Gläubiger in der EZB einfach Euro drucken, ohne sich vom Frisieren der griechischen Bilanzen zum Euro-Beitritt durch Mitarbeiter ihres ehemaligen Arbeitgebers zu distanzieren.

Als Schnäppchen-Präsident werden Sie in die bundesdeutsche Geschichte eingehen, aber um das gut zu finden, war mir die Würdigung Ihres herausragenden Einsatzes für die Opferangehörigen des NSU-Terror sehr wichtig. Dagegen waren Ihre Mitnahmen eigentlich Peanuts und eher beschämend, wie billig Ministerpräsidenten hierzulande zu kriegen sind. Die laufenden Verfahren wegen Korruption und immense Schadenersatzklagen von VW-Aktien-Spekulanten machen Sie aber weiterhin abhängig von jenen Seilschaften aus Ihrem ehemaligen Fahrwasser als Sonnyboy mit dem Schwiegermutterlächeln für den Urnenpöbel, die Sie als Bundespräsident zu Fall gebracht haben, und Ihre Frau hat gerade mit ihrer Buchveröffentlichung erlebt, daß eine Befreiung aus diesen Abhängigkeiten kaum möglich ist, zumal Ihr lebenslanger Ehrensold in Höhe von demnächst € 217.000,–– pro Jahr auch weiterhin Ihre Chancen auf Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung minimieren wird. Mir kommt es auf die Delegitimierung der Seilschaften in Ihrem ehemaligen Fahrwasser und Ihre Beteiligung an deren Machenschaften an, dieser machtgeile Korpsgeist, der in diesem Land so vieles erdrückt – übrigens auch meine berufliche Karriere, aus der ich ohne Ehrensold gestoßen wurde für meine einfältige Idee, daß für sachlich gute Arbeit auch irgendwie eine Perspektive zu finden sein sollte.

Ich möchte, daß das weitergeht wie mit Ihnen und Ihrem Vorgänger Horst Köhler, wobei Angela Merkel und Joachim Gauck als nächstes dran wären, weil beide Prototypen sind von Kohls Wiedervereinigung von westReaktionären und ostMob unter Ausgrenzung von west- und ostdeutschen Bürgerrechtlern. Ich verstehe nach wie vor nicht, wofür Joachim Gauck sich als DDR-Bürgerrechtler inszenieren läßt, wenn ich mir allein die lebenslange Konsequenz von Ingrid Köppe ansehe, und wenn Kohls Bundesumweltministerin Angela Merkel erst heute so perfekt sein will, wie das Mitte der 90er schon die ebenfalls ostdeutsche Umweltministerin von Sachsen-Anhalt Heidrun Heidecke war, deren zutreffende Argumente Merkel mit ihrem Bundesweisungsrecht damals plattgemacht hat, dann hat sie skrupellos die radioaktive Verseuchung ganzer Landstriche mit Gesundheitsrisiken für sehr viele Menschen nebst Milliardenschäden für die Steuerzahler nur für ihre persönliche Karriere in Kohls Machtapparat verschuldet, zumal heute ihre angebliche Energiewende erneut perfekt nur für die großen Energieversorger ausfällt, deren marodes Leitungsnetz mit dramatischen Ausfallrisiken die Allgemeinheit finanzieren soll. Da wären noch sehr viele Lebensläufe zu delegitimieren, bevor in diesem Land demokratisch-rechtstaatliche Kultur wachsen könnte.

Eins noch zu Ihrer Ehefrau Bettina: Erst als sie Günther Jauch und Google verklagt hat wegen Gerüchtestreuens über ihre angebliche Vergangenheit als Anbieterin von Escort-Diensten, habe ich von diesen Gerüchten erfahren, aber auch dann hat mich das nicht interessiert, denn selbst wenn es gestimmt hätte, wäre das für mich eine Sache zwischen Ihnen und Ihrer Frau gewesen. Ich bin kein Moralist, und wenn Sie Humor gehabt hätten, hätten Sie sich ehrenamtlich bei einem Aussteigerprojekt für Sex-Arbeiter(innen) engagiert, wenn Ihnen derartige soziale Kompetenz schon zugetraut wird, sowie anstatt diese Gerüchteschleudern zu verklagen, sie wie Karl Lagerfeld in einem Werbespot abgefertigt mit der schlichten Bemerkung: If you're cheap nothing helps:







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